Die Sonderverwaltungszone Hongkong ist mit dem Rest Chinas nicht vergleichbar. Vor 10 Jahren demonstrierten 500.000 Leute gegen ein Gesetz, dass die Pressefreiheit einschränken sollte. Mit einer eigenen Verfassung und einer sehr freien Gesellschaft kann man dort über vieles offen reden. So wurde ich von der Hongkong Baptipst University (HKBU) eingeladen, dort Seminare über die Piratenpartei in Deutschland zu halten.
Die HKBU hat ein großes Department für „European Studies“. Dort lernen die Studierenden die Kultur, Wirtschaft, Geschichte und Politik Europas im allgemeinen und einzelner europäischer Länder als Spezialisierung kennen. Das internationale Team des Departments ist äußerst engagiert und kümmert sich um gute Seminare, wie eben meine zu den Piraten.
Auch vor Ort hatte ich den Eindruck, dass alle Einrichtungen sehr gut ausgestattet sind und man auf „die Welt dort draußen“ vorbereitet wird. Besonders hat mich beeindruckt, dass man dort ganz praktisch den kritischen Umgang mit der Regierung lernt. Ein Nachbargrundstück war der Uni zur Erweiterung des Campus zugesagt worden und soll nun doch gewinnbringend verpachtet werden. An der gesamten Uni hängen große Plakate mit dem Aufruf dagegen zu protestieren. Man kann sich in einem Blog der Uni über OccupyHK informieren und offen mit Studenten über die Bewegung sprechen. Das zeigt deutlich, wie unabhängig Hongkong von der Regierung in Peking hier agieren kann.
An der Universität hielt ich am European Studies Department auf deutsch und englisch Seminare mit langen Diskussionen über die Piratenpartei in Deutschland. Mit den Diskussionsrunden kamen wir auf 2-3 Stunden und konnten so gut in die Details gehen. Die wichtigsten Fragen für solche Seminare sind: Wo kommt der Name her? Worum geht es da? Woher kam der plötzliche Erfolg? Und woher der Absturz?
Da ich erwartet hatte, eher grundlegende Seminare zu halten, war ich positiv von den Studenten überrascht. Sie kannten sich gut mit der Partei und den Strukturen aus und hatten sehr konkrete Fragen zu bestimmten Gestaltungsmöglichkeiten.
Es ist immer sehr schwer zu erahnen, welches Wissen man voraussetzen kann, daher versuchte ich alles nötige Vorwissen grundlegend zu erklären. In einer Stunde das föderale System der Bundesrepublik Deutschland und die Idee der Machtzerstreuung als Folge des Zweiten Weltkriegs zu erklären, ist schon schwer. Ich musste es in etwa drei Minuten Vortrag packen. Danach ein kurzer Abriss über Parteiengründung, Unterstützungsunterschriften, Parteienfinanzierung und den ganzen rechtlichen Rahmen, in dem man sich dann bewegen muss. Dafür hatte ich ebenfalls wenige Minuten.
Die Unterschiede zwischen den Piraten und den etablierten Parteien erklärte ich dann mit einem einfachen Beispiel: Wie bringt man einen Antrag auf den Bundesparteitag? Ich hatte die Folien für die verschiedenen Seminare auf verschiedenfarbigen USB-Sticks, um keinen Fehler zu machen – und vergaß natürlich einen der Sticks. Daher musste ich genau diesen entscheidenden Punkt am improvisierten Whiteboard aufmalen. Das stellte sich aber als die viel bessere Lösung raus, da man das ganze noch beim Erzählen gestalten konnte. Dass die Zuhörer die Details dabei kaum verstehen, spielt eigentlich keine Rolle. Sie haben verstanden, dass es bei der einen Partei sehr viele Schritte und Filter gibt und bei uns kaum. Nachdem die Partei mit ihren Vor- und Nachteilen im Groben erklärt war, folgte jeweils eine lange und spannende Diskussion.
Bei einem der Seminare waren Mitarbeiter des Generalkonsulats und der Regierung dabei. Dies machte die anschließende Diskussion für mich sehr interessant. Diese Außensicht auf die Partei ist immer wieder spannend, da ich vermutlich sehr unter Betriebsblindheit leide.
Da sich die Studenten mit den verschiedenen deutschen Parteien auseinander gesetzt hatten wurde es zunehmend konkreter: Wenn eine 19 Jährige ins Parlament einzieht, hat sie dann genug Erfahrung mit Politik? Wenn jeder mit reden darf, wie geht man dann mit den Leuten um die nichts sinnvolles Beitragen oder sogar aktiv trollen? Ist die Partei regierungsfähig und könnte man mit ihnen einen Koalitionsvertrag aushandeln? Zum Glück alles Fragen, die ich so oder so ähnlich kenne und gut beantworten konnte. Beim anschließenden Empfang kamen aber nicht nur Fragen sondern auch Lösungsansätze. Wie man z. B. eine SMV optimieren könnte, wie man Leute offline einbindet und wie man einen stärkeren Vorstand etablieren kann. Ich war beeindruckt von den ganzen Ansätze und überlegt mir ob ich umgekehrt der Civic Party in Hongkong ähnliche Vorschläge unterbreiten könnte. Nein, wohl kaum.
Dass Hongkong anders ist als China war mir klar, aber es hat meine Erwartungen bei weitem übertroffen. Umgekehrt besteht ein sehr großes Interesse speziell an den Berliner Piraten. Es werden also nicht die letzten Seminare gewesen sein.
2tes-Augenpaar: Björn