Für uns sollte es ein Gedenktag sein. Gedenken an den 80. Jahrestag, an dem das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ verabschiedet wurde. Damit konnte die Aktion T4 beginnen, die Ermordung von 70.000 Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen in der Zeit des Nationalsozialismus.
Dass das Gedankengut der „Erlösung vom Leiden“ und Kostenrechnung über Menschen auch heute noch immer existiert, darüber habe ich in meinem letzten Post zum Baubeginn des T4-Gedenkortes in Berlin berichtet. T4 – der Name der Euthanasie-Aktion bezieht sich übrigens auf den Ort, an die Ermordung geplant wurde, in der Tiergartenstr. 4 in Berlin.
Seit Jahrzehnten setzen sich deshalb Menschen mit und ohne Behinderung für einen anderen Blick auf Behinderung ein: Behinderung als Teil der menschlichen Vielfalt, behinderte Menschen als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger, für Respekt, Toleranz und das Menschenrecht Teilhabe. Seit zwanzig Jahren demonstrieren deshalb Menschen auf der ganzen Welt in einer Pride Parade, um
- den Blick auf Behinderung zu verändern
- die Scham und Unsicherheiten zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen und Verrücktheiten abzubauen
- für eine Gesellschaft zu werben, in der Behinderung und/oder Verrücktheit Teil der menschlichen Vielfalt sind und
- für eine Gesellschaft, in der Menschen mit Behinderungen auf sich stolz sein können.
In diesem Jahr fand die Parade zum ersten Mal in Deutschland statt und Therese Lehnen und ich waren dabei. Ganz besonders gefreut hat mich, Theresia Degener hören zu können, jetzt Mitglied des Auschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen beim Hochkommissariat für Menschenrechte in Genf und eine der ganz Großen der Behindertenbewegung. Sie sprach unter anderem darüber, dass Mitleid weniger mit Güte zu tun hat, sondern mehr mit Macht und Moral und Leben in Parallelwelten weniger mit Fürsorge, denn mit Abschiebung (und auch das ist eine Machtfrage, nebenbei bemerkt).
Andere Redner*innen sprachen über Stigmatisierungen aufgrund von Psychiatrieerfahrungen, auch vor dem Hintergrund der Vorgänge am Neptunbrunnen, und über den ethischen Druck, dem künftige Mütter und Väter ausgesetzt sind, die ein behindertes Kind erwarten.
„Leben ist unvorhersehbar“, sagte eine Teilnehmerin. Lasst es uns feiern und stolz auf uns sein, so wie wir sind!
Autorin: Ulrike Pohl