Vom Leistungsschutzrecht, widerspenstigen Politikern und den ungestillten Wünschen der Verlage
Was war das für eine Veranstaltung?
Am 11. Juni 2013 fand in der Akademie der Künste in Berlin die Medienpolitische Stunde als Teil des 39. Kongresses Deutscher Lokalzeitungen statt. (Programm)
Es wurden drei Reden gehalten, von Inken Boyens (Verlegerin und Vorsitzende des Verbandes Deutscher Lokalzeitungen e.V.), Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Justizministerin, FDP) und von Frank-Walter Steinmeier (SPD). Danach fand eine Podiumsdiskussion mit Brigitte Zypries (SPD), Dagmar Wöhrl (CSU), Jimmy Schulz (FDP) und Johannes Weberling (Verleger) statt.
Worum ging’s?
Die Veranstaltung war wegen der aufeinanderprallenden Interessen der Verlage und der anwesenden Politiker*innen außerordentlich spannend. Das Hauptthema war das Leistungsschutzrecht, welches am 1. März 2013 im Bundestag beschlossen wurde. Den Verleger*innen geht dieses immer noch nicht weit genug, die Politiker*innen äußerten etliche Bedenken gegen den Beschluss und auch sonst diverse Ansichten zu anderen Themen, die nicht zu denen der Verlage passten.
Entgegengesetzte Positionen zum beschlossenen Leistungsschutzrecht (LSR)
In der Eröffnungsrede wurden die Vorstellungen der Verlage sofort deutlich, als Inken Boyens, Verlegerin und Vorsitzende des Verbandes Deutscher Lokalzeitungen, erklärte, dass die Schutzfrist von einem Jahr beim Leistungsschutzrecht viel zu kurz sei – bei Filmen beispielsweise gelte eine Schutzfrist von 70 Jahren.
Frank-Walter Steinmeier kam ihr in seiner Rede bei ihren Wünschen entgegen: “Ich kann mir vorstellen, an das bestehende Gesetz nochmal ranzugehen und die Schutzfristen zu verlängern.” Wie auch Steinmeier forderte Frau Boyens eine weitergehende “Reformierung des Urheberrechtes”, was bei beiden eine Verlängerung der Schutzfristen bedeutet. Frau Boyens freute sich, dass “die Bundesregierung das Leistungsschutzrecht gegen alle Widerstände durchgesetzt hat.”
Johannes Weberling konnte im LSR auch nur Positives erkennen. Dieses würde den Verlagen helfen, ihre Rechte durchzusetzen. Die Verlage müssten jetzt nur noch eine Verwertungsgesellschaft gründen, um das Leistungsschutzrecht zügig nutzen zu können. Auch Frau Leutheusser-Schnarrenberger sprach positiv über das Leistungsschutzrecht. Naja, das muss sie ja auch, schließlich steht ihr Name unter dem Gesetz. Auf die suggestive Frage des Moderators, warum denn nur eine viel zu kurze Schutzfrist von einem Jahr beschlossen worden sei, antwortete sie aber gutgelaunt und erfrischend: “Lokalzeitungen leben von der Aktualität. Was heute aktuell ist, liest morgen kein Mensch mehr.”
Und das vor einem Saal voller Lokalzeitungsvertreter*innen.
Die Politiker*innen, die später an der Podiumsdiskussion teilnahmen, äußerten sich aber durchweg negativer über das LSR. Brigitte Zypries (SPD) und Jimmy Schulz (FDP) erklärten beide, dass sie im Bundestag gegen das LSR gestimmt hätten und fanden sehr deutliche Worte für ihre Ablehnung: “Ich war gegen das Leistungsschutzrecht. Es schafft Rechtsunsicherheit und ist nicht praktikabel. Wir brauchen praktikable Bezahlmodelle. Das Leistungsschutzrecht war ein fauler Kompromiss auf Regierungsseite.”, sagte Brigitte Zypries (SPD). Und Jimmy Schulz (FDP) ergänzte: “Das ist, als müsste ein Restaurantführer dafür bezahlen, dass er Restaurants empfiehlt. Ich glaube, das Leistungsschutzrecht nützt niemandem, richtet aber hoffentlich auch keinen Schaden an.” Jimmy Schulz konstatierte (zum Unmut der anwesenden Verleger*innen und Journalist*innen), dass “das Geschäftsmodell ‚Physikalischer Träger’” (Print) tot sei und dass man stattdessen auf alternative Bezahlmodelle setzen solle, welche ja zum Teil bereits existierten. Er ging auch nochmal auf die Alternativen ein, die man statt eines Leistungsschutzrechtes hätte umsetzen können, bei denen Verlage beispielsweise mithilfe eines technischen Filters Einfluss darauf nehmen können, welche Inhalte in den Suchmaschinenergebnissen auftauchen sollen und welche nicht.
Dagmar Wöhrl (CSU) erklärte auf die Frage, wie sie denn abgestimmt habe: “Ich habe mich bei der Abstimmung über das Leistungsschutzrecht enthalten, das erste Mal in meiner Zeit im Bundestag. Mir war das Lobbying zu groß, ich habe mich bedrängt gefühlt, von allen Seiten. Ich habe mich bei der Verabschiedung dieses Gesetzes sehr unwohl gefühlt, das war ein sehr unausgegorenes Gesetz und da waren viele Ungereimtheiten drin.”
Es war sehr interessant, zu sehen, wie der Moderator durch seine suggestiven Fragen immer wieder versuchte, die Politiker*innen zu ganz bestimmten Aussagen zu drängen. Diegaben dann aber genau das Gegenteil der gewünschten Antwort und erläuterten einem Saal voller Verlagsvertreter*innen und Journalist*innen ihre tatsächliche Meinung zum LSR und äußerten sich so sehr kritisch über das beschlossene Gesetz. Die anbiedernden Ausführungen Steinmeiers hoben sich hiervon erschreckend ab. Für uns als Piraten wurde wieder einmal klar, dass uns bei der Diskussion über eine Reformierung des Urheberrechts mächtige Gegner gegenüber stehen, die ihre Interessen mit aller Macht durchsetzen wollen und auch bei dem beschlossenen LSR noch nicht stehenbleiben. Es besteht noch sehr viel Diskussions- und Informationsbedarf, was die Chancen der Onlinemedien und das Verständnis der technischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten des Internets angeht.
Im Laufe der Veranstaltung wurden auch noch diverse andere Themenbereiche angesprochen und kontrovers diskutiert. So kamen zum Beispiel die Netzneutralität und die Chancen der Neuen Medien allgemein zur Sprache, sowie die Pressefreiheit in Deutschland, die Bedeutung eines flächendeckenden Mindestlohnes für die Zeitungsverlage, die Änderungen des Pressefusionsrechtes und die Überlegungen, in Form von Stiftungen Ausbildungsförderung zu betreiben, welche durch Rundfunkgebühren finanziert werden sollen.
geschrieben von: Miriam Seyffarth