Eine Betrachtung zum 300. Geburtstag von Immanuel Kant
Gastbeitrag von Dr. Angelika Brinkmann
Der Gedanke eines Völkerbundes und ewigen Friedens lag Kant so sehr am Herzen, dass er ihn 1795 in dem philosophischem Entwurf „Zum ewigen Frieden“ näher ausgeführt hat. Der Entwurf enthält sechs Präliminar-(vorbereitende) und drei Definitiv- (endgültige) Artikel, Rechtsgrundsätze für die Begründung eines dauernden Friedenszustandes, mit Erläuterungen Kants. [1]
Wie Schiller vertrat er die Idee eines zivilisatorischen Fortschritts – weg von einem unfriedlichen Naturzustand hin zu einer Zukunft in Frieden. [2]
Definitivartikel
Das Völkerrecht soll auf einem Föderalismus freier Staaten gegründet sein.
Das Weltbürgerrecht soll auf Bedingungen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt sein.
Das heißt, es soll ein allgemeines Besuchsrecht geben, jeder soll das Recht haben, auf friedliche Weise andere zu besuchen und sich ihnen zu Gesellschaft, Handel anzubieten – mehr aber nicht.
„Vergleicht man hiermit das inhospitale Betragen der gesittenen, vornehmlich handeltreibenden Staaten unseres Welt teils, so geht die Ungerechtigkeit , die sie in dem Besuche fremder Länder und Völker (welches ihnen mit dem Erobern derselben für einerlei gilt) beweisen, bis zum Erschrecken weit. Amerika, die Negerländer, die Gewürzinseln, das Kap usw. waren bei ihrer Entdeckung für sie Länder,die keinem angehören; denn die Einwohner rechneten sie für nichts.“
Oder doch vom Kriege?
Clausewitz beschreibt Wirken, Aufgaben und Verantwortung der Politik in Krieg und Frieden in seinem großen militärisch-theoretischem Werk der Zeit. [3]„Wollen wir den Gegner niederwerfen, so müssen wir unsere Anstrengung nach seiner Widerstandskraft bemessen, diese drückt sich durch ein Produkt aus, dessen Faktoren sich nicht trennen lassen nämlich die Größe der vorhandenen Mittel und die Stärke der Willenskraft.“
Wie Carl von Clausewitz erkannte, führen Kriege kein Eigenleben, sondern waren im Ausfluss staatlicher Politik, die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Wie sich Staaten wandelten, so wandelte sich auch ihre Politik und so wandelten sich ihre Kriege. Der Krieg war, so betonte er, mindestens ebenso sehr eine Angelegenheit moralischer und politischer Faktoren wie eine Suche der fachlichen militärischen Können .[4]
Die Theorie und Praxis der Kriegsführung in Europa konzentrierte sich im späten 18. Jahrhundert vorwiegend auf Probleme der Belagerungskunst, des Festungsbaus, der Truppenbewegung und des Nachschubs. Das Heer wurde in Clausewitz` Worten zu einem „ Staat im Staate, in dem das Element der Gewalt allmählich in den Hintergrund trat“.“
Und heute?
Ist der Optimismus Kants und Schillers, und auch der von Francis Fukuyama überholt? Im Jahr 2022 ist der Landkrieg nach Europa zurückgekehrt, eine allseitige politische Radikalisierung bricht sich Bahn. Krieg droht aber nicht nur durch solche, die sich durch Kriege bereichern wollen, sondern auch durch solche, die einen „unperfekten Friedenszustand“ einem Krieg vorziehen. Noch jeder Kriegführende hat behauptet, einen „bellum iustum“, das heißt einen gerechten Krieg, zu führen. Hitler und Putin, ebenso die USA im Irak 2003.
Man könnte formulieren, der Mensch kennt es nicht anders. Ein Krieg zwischen den Atommächten hätte die Auslöschung eines großen Teils der Menschheit bedeutet, die Abschreckung, auch als „MAD“ (mutual assured destruction) bekannt, hat aber funktioniert, um den Preis, dass die Sowjetunion zu Tode gerüstet wurde.
Was kann dies zum Beispiel für den Krieg in der Ukraine aber auch den Konflikt im Gaza Krieg bedeuten? Wladimir Putin sieht vermutlich die Ukraine nach einem Ende eines für ihn siegreichen Krieges ähnlich wie das heutige Palästina: besetztes Gebiet, ökonomisch abhängig, demilitarisiert.
Das muss aber nicht sein. Es kommt auf die politische Sichtweise dessen an, was man als Sieg der eigenen Bevölkerung gegenüber ausgeben kann. Henry Kissinger erläuterte schon sehr bald nach dem Beginn des Überfalls auf die Ukraine, dass diese vielleicht doch Zugeständnisse machen müsse, zum Beipiel anzuerkennen, dass die Krim an Russland geht: Ist das eine Niederlage? Nicht unbedingt, wenn man Russland gegenüber erklärt, es kann die Krim haben, wenn es dafür akzeptiert, dass die Ukraine der NATO beitritt. Dies ist ein Zustand, der Wladimir Putin ja nicht unbekannt ist: Im Jahr 1989 war er in Dresden stationiert, der ehemaligen DDR, die an die NATO grenzte. Wenn für einen solchen Verhandlungserfolg dann endlich Frieden in der Ukraine einkehrt, ist dies ein politischer Erfolg und die Ukraine hat erfolgreich ihre Ziele verfolgt. Hier schließt sich dann doch vielleicht der Kreis zu Kant.
Bei Kant werden die politisch Agierenden nicht aus der Verantwortung entlassen, für den Frieden zu wirken, dieser bleibt, gerade weil die Natur ihn als objektiv möglich unterstellt, letztmöglich eine Angelegenheit der Menschen. Indem Kant den Zwängen einer auf die Bedürfnisse von zunehmenden Besitzbürgern bzw. Besitzständen geprägten Ordnung Rechnung trägt, legte er seiner emanzipatorischen Phantasie Beschränkungen auf und bezog sie auf das unter bestimmten historischen Bedingungen in einer bürgerlichen Welt Mögliche.
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[1] Präliminarartikel
- Es soll kein Friedensschluss für einen solchen gelten, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffes zu einem künftigen gemacht werden.
- Es soll kein für sich bestehender Staat (klein oder groß, das gilt hier gleich viel) von einem anderen Staate durch Erbung, Tausch, Kauf oder Schenkung erworben werden können.
- Stehende Heere sollen mit der Zeit ganz aufhören. Aus der Begründung: „Denn sie bedrohen andere Staaten unaufhörlich mit Krieg durch die Bereitschaft immer dazu gerüstet zu erscheinen; reizen dies an sich einander in Menge der Gerüsteten, die keine Grenzen kennt, zu übertreffen und indem durch die darauf verwandten Kosten der Friede endlich noch drückender wird als ein kurzer Krieg, so sind sie selbst Ursachen von Angriffskriegen.
Es sollen keine Staatsschulden im Beziehen auf äußere Staatshändel gemacht werden.
[2] Der englische Staatstheoretiker Thomas Hobbes erklärte 1642, der Ur – bzw. Naturzustand sei der des „bellum omnium contra omnes“, des Krieges aller gegen alle, erst die Zivilisierung und Gesetzgebung bringe den Frieden, wenn auch um den Preis der gesellschaftlichen Unfreiheit.
Der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau, für ihn stand am Anfang ein universeller Friede, den die Zivilisation, die er als Verfallsgeschichte liest, verdorben habe. Rousseaus „Zurück zur Natur“ kann also als ein „zurück hinter die Geschichte“ gedeutet werden. Auch in heutigen Debatten um Modernen Kapitalismus und Technik spielt dieses Paradigma eine Rolle. Kant dagegen folgte mit seinen Konzept „Weltfriede durch Verrechtlichung“ eher dem englischen Fortschrittsdenken.
[3] Carl von Clausewitz „Vom Kriege“ Berlin , 1834
Die Theorie und Praxis der Kriegsführung in Europa konzentrierte sich im späten 18. Jahrhundert vorwiegend auf Probleme der Belagerungskunst, des Festungsbaus, der Truppenbewegung und des Nachschubs. Das Heer wurde in Clausewitz` Worten zu einem „ Staat im Staate, in dem das Element der Gewalt allmählich in den Hintergrund trat.“
[4] Kriege, die mit der ganzen Wucht der nationalen Energien und mit dem Ziel eines totalen Sieges geführt wurden, würden immer eine andere Form annehmen als solche, die mit begrenzten Kräften zur Erreichung begrenzter Ziele unternommen wurden. Die erstgenannte Kategorie, die des „absoluten Krieges“, hätte vielleicht eher wie ein platonisches Ideal, eine abstrakte Denkvoraussetzung erscheinen können, hätte Europa nicht während der revolutionären Epoche den totalen Krieg erlebt. Es wäre, so schloss Clausewitz, voreilig, nun zu behaupten, dass es einen solchen Krieg nicht wieder geben würde. „Schranken, die gewissermaßen nur in der Bewußtlosigkeit dessen, was möglich sei, lagen, (lassen sich) wenn sie einmal eingerissen sind, …nicht leicht wieder aufbauen…; und … die gegenseitige Feindschaft (wird) sich, wenigstens jedes mal, so oft ein großes Interesse zu Sprache kommt, auf die Art erledigen, … wie es in unseren Tagen geschehen ist.“