Gastbeitrag von Marlene Cieschinter und Jessica Zinn
“Berlin beschafft unfaire Lebensmittel” – so titelte die Christliche Initiative CI Romero in ihrer Pressemitteilung vom 17. Oktober 2018 die Beschaffungspolitik durch das Land Berlin. Der Vorwurf lautet, dass Unternehmen die Sozialstandards des Fairen Handels nicht einhalten, während die Berliner Verwaltung dabei zusehe. Am 8. November wurde das Land Berlin als “FairTrade Stadt” ausgezeichnet. Bei der Feier zur Übergabe wurden die unzähligen Berliner Akteure gewürdigt, die sich mit ihren Unternehmen, Vereinen und Arbeitsgruppen bereits seit, teilweise sehr vielen, Jahren für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei der Produktion unserer Güter einsetzen. Die Wirtschaftssenatsverwaltung gelobt in ihrer Pressemitteilung, “an einem geeigneten Rahmen für die faire Vergabe im Berliner Vergabegesetz” zu arbeiten.
Eine Initiative erhebt Einspruch
Eine von der CIR veranlasste Studie belegt dagegen, dass durch das Land Berlin Orangensaft angekauft wird, für den beim Anbau gesundheitsschädigende und in der EU verbotene Pestizide eingesetzt werden. Zudem würden Produkte wie Kakao oder Kaffee mit Löhnen weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn, unter der ausbeuterischen Beschäftigung von Kindern sowie inakzeptablen Arbeitsbedingungen produziert.In den Veröffentlichungen geht es beispielhaft um einzelne Produkte. Diese verweisen jedoch auf ein allgemeines Problem. Dabei hat das Land Berlin einige erfolgreiche Projekte von Schulen und Universitäten vorzuweisen. Außerdem gibt es die Kampagne für Faire Fußbälle in Berliner Vereinen und Schulen, die mit Workshops, Informationsmaterialien und sogar Fördergeldern für die Beschaffung fair produzierter Sportbälle unterstützt wird.
Der große Rahmen
Gleichwohl wird zunehmend klar, dass wir mit dem Engagement für Fairen Handel trotz Jahrzehnten verschiedener Aktivitäten noch sehr am Anfang stehen.Man mag kaum glauben, dass auch 2018 noch, auch minderjährige, Arbeitsklaven ohne Schutzbekleidung oder medizinische Versorgung, ohne geregelte Arbeitszeiten oder festes Einkommen unsere Produkte herstellen. Da ist es ein etwas makaberer Gedanke zu unseren Aktionen zu Fairen Sport-Artikeln, dass wir irgendwann erreichen werden, dass endlich 1% der weltweiten Ballproduktion ganz sicher ohne ausbeuterische Kinderarbeit und sklavereiartige Arbeitsbedingungen hergestellt werden.
Fairer Handel ist die Forderung nach grundlegenden Mindeststandards bei Arbeitsplätzen, wie der Zugang zu Trinkwasser und medizinischer Versorgung oder auch Regelungen zu Arbeitszeiten, wie auch die Möglichkeit sich zu organisieren und mitzubestimmen.
Das Land Berlin hat in seinen Ausschreibungsormularen für die Beschaffung immerhin die Verpflichtung für Auftragnehmer vorgesehen, diese in den internationalen Kernarbeitsnormen festgelegten Mindeststandards einzuhalten. ILO-Kernarbeitsnormen sind keine Berliner Standards.
Ein hier seit Jahren zum Thema Beschaffung bekannter Kritikpunkt ist jedoch die “Eigenerklärung zur Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen”.
In diesem üblicherweise von Bietern herangezogenen Formular ist leider bereits eine Erklärung enthalten, dass “Trotz intensiven Bemühens” die “Vorlage eines Nachweises”, dass die Einhaltung des Mindeststandards der ILO-Kernarbeitsnormen “nicht möglich” sei. Damit wird das Anliegen der fairen Beschaffung zu leicht umgangen. Man verweist dabei auf ein verbreitetes Problem des Großhandels: Vorherige Händler und Produzenten seien in der Produktionskette unbekannt und daher werde nicht einmal versucht, diese einzelnen Akteure einen Nachweis über faire Produktionsbedingungen erbringen zu lassen.
Vielfach ist, wie ebenfalls in der Studie erklärt wird, den Verantwortlichen unklar, wie Fairer Handel definiert wird. und die geltenden Sozialstandards und anerkannten Zertifizierungen, wie z.B. FairTrade-Siegel, sind sowohl in der Verwaltung, als auch unter Lieferanten weitgehend unbekannt.
Auf den Einkauf einwirken
Verschiedene, erfahrene NGOs bemühen sich hier um die Beratung, beispielsweise in Form von Musterausschreibungen sowie mit Informationsmaterialien zu verschiedenen Nachweisen, Siegeln und Zertifizierungen. Städte wie Bremen oder Dortmund haben diese Angebote erfolgreich genutzt.
Eine Unterstützung der Verantwortlichen für Einkauf oder Beschaffung bei Ausschreibungen und in Form der Erklärungen von Nachweisen ist gerade in Berlin noch dringend notwendig.
“Wir optimieren die bestehenden Regelungen zur Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen und nehmen diese in eine Verwaltungsvorschrift auf.” lautet die Aussage der Wirtschaftssenatsverwaltung. Noch liefert das zur Verfügung gestellte, offizielle Formular allerdings keinen Anreiz, Druck auf Lieferanten auszuüben, um so überhaupt zu erfahren, wie die gelieferten Waren produziert wurden.
Öffentliche Beschaffung hat einen großen Marktanteil in verschiedensten Produktgruppen. Damit faire Produzenten durch größere Auftragsmengen gestärkt werden und der gesamte Markt sich mehr in Richtung stärkerer Einhaltung von Menschenrechten und Mindeststandards bei Arbeitsbedingungen entwickeln kann, ist es notwendig, dass hier die staatlichen Einkäufe beispielhaft mitziehen.
PIRATEN fordern, dass die Verwaltung auf die Einhaltung bisheriger Beschlüsse und auf Nachweise von Herstellern und Lieferanten besteht, sobald bekannt ist, dass es als fair anerkannte Bezugsquellen für entsprechende Produkte gibt. Eigenerklärungen von Bietern, die nur der äußerlichen Erfüllung von Formalitäten dienen, gehören in den Papierkorb der Geschichte. Die Menschen in den Ländern des globalen Südens brauchen keine nett gemeinten Symbole, sondern – ebenso wie bei uns – gerechten Lohn für ihre Arbeit, Chancen auf Bildung für ihre Kinder und die Freiheit ihre Lebensbedingungen mitzugestalten.
Gerne nehmen wir Senatorin Pop beim Wort und verfolgen ebenso aufmerksam wie ungeduldig dessen Umsetzung. Denn eine mit der Auszeichnung versehene “Faire Hauptstadt” kann nicht dulden, dass gerade bei ihrer Beschaffung das Anliegen “Fairer Handel” umgangen wird.