Mit einem mutlosen und nur Einzelinteressen bedienenden Gesetzesentwurf wurde erneut die Chance auf ein zeitgemäßes, tatsächlich demokratisches Wahlsystem verschenkt. In drei Jahren nichts gemacht, jetzt dafür schnell-schnell und schlecht.
Bei all der Lobbypolitik, die man vom Bundestag ja mehr als gewohnt ist, ist es doch neu, dass nun auch noch Gesetze geschmiedet werden, die verhindern, dass die Zahl der möglichen Sitze im Bundestag abnehmen könnten. Dabei ist dieses Parlament inzwischen so aufgeblasen, dass man sich (eigentlich) schon längst darauf geeinigt hatte, den Bundestag zu begrenzen.
Nicht neu, aber doch überraschend auffällig ist die Stümperhaftigkeit, mit der dieses Mal aus dem längst überfälligen Gesetz ein nichtssagendes, ja sogar in sich widersprüchliches Konstrukt geschaffen wurde. Es lässt nicht nur ein uferloses Weiterwachsen des Bundestages zu, sondern fordert auch an einigen Stellen Dinge , die den Grundsätzen des Verhältniswahlsystems widersprechen, sich gar nicht umsetzen lassen oder an anderer Stelle im Gesetz Widersprüche erzeugen.
So soll festgeschrieben werden, das Zuteilungsverfahren der Sitze so zu ändern, dass Überhänge mit Listenmandaten einer Partei verrechnet werden. Diese Regelung ist jedoch überhaupt nicht praktikabel und kommt ausgerechnet der CSU zu Gute, die überhaupt nur eine Liste nämlich in Bayern aufstellt und in anderen Bundesländern gar nicht antritt. Auch bei der CDU wird es nach aktuellen Umfragen gar keine Listenmandate geben, die hier verrechnet werden könnten. Sprich – beide Parteien, CDU und CSU, haben in allen Bundesländern, in denen sie antreten, auch Überhangmandate – und sind die Profiteure dieser Regelung.
Noch absurder ist die Regelung, auf den Ausgleich von drei Überhangmandaten gänzlich zu verzichten, verzerrt dies doch den Parteienproporz. Auch diese Regel kommt voraussichtlich vor allem der CDU zu Gute und widerspricht der Forderung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hatte schon 2012 darauf hingewiesen, dass der Ausgleich von Überhangmandaten nötig ist, um den Parteienproporz – also das Kernziel des Verhältniswahlsystems – sicherzustellen. Nun wird also die Rechtssprechung des Verfassungsgerichts torpediert, ohne das zu tun, was einmal der einzige Grund für einen solchen Schritt hätte sein sollen – nämlich den Bundestag zu begrenzen.
Summa summarum ist nun etwas entstanden, das keinerlei Sicherheit bietet, die Größe des Bundestags überhaupt zu begrenzen. Die aktuellen Umfragen ergeben einen Bundestag mit mehr als 750 Abgeordneten. Mit dem Koalitionsbeschluss ist damit zu rechnen, dass der Bundestag 2021 noch größer würde, als der aktuelle. In etwa liegt der Dämpfungseffekt des Beschlusses bei weniger (je nach Konstellation sogar bei deutlich weniger) als 30 Mandaten, so dass in jedem Fall 720 Sitze entstehen. Aktuell sitzen 709 Abgeordnete im Bundestag, versprochen war eine Begrenzung auf 709 als „Kompromiss“ gegenüber der eigentlichen Forderung: Den Bundestags auf seine Ausgangsgröße von 598 Sitzen zurückzuführen.
Ob sich die SPD hier über den Tisch ziehen hat lassen oder ob man wohlwollend eine Konstruktion mitträgt, die bewusst nicht zur Begrenzung der Sitze beiträgt, auch wenn CDU/CSU sogar stärker von der Neuregelung profiteren dürfte als die SPD, wird man wohl nie erfahren. Getreu des Mottos „Wenn wir ein größeres Stück vom Kuchen kriegen, dann darf sich der politische Gegner gerne bereichern“ wird wohl auch hier die SPD-Politik des widerspruchslosen Abnickens der letzten Jahrzehnte weitergeführt. Am wichtigsten sind schließlich die Pöstchen, da sollte man die Bürger ein bisschen verwirren und hintenrum ein paar mehr davon schaffen.
Fraglich bleibt auch, ob und inwieweit die GroKo es überhaupt schafft, ein Grundgesetz konformes Gesetz zu formulieren. So ist fast schon zu erwarten, dass gegen das Gesetz von der Opposition geklagt wird, die ja ein besseres Gesetz vorgelegt hatte.
Karlsruhe wird sicher über dieses Gesetz befinden und letzten Endes auf die Grundrechte und Grundsätze des Verhältniswahlsystems achten. Die einzige sinnvolle Möglichkeit wäre eine Reduktion der Wahlkreise gewesen, doch dazu ist es nun zu spät.