Nach dem geltenden Landeswahlgesetz müssen Parteien, die nicht im Abgeordnetenhaus (AGH), einem Landtag oder in den Bezirksverordnetenversammlungen vertreten sind, für die Zulassung zur Abgeordnetenhauswahl im September 2021 einen Nachweis über die Unterstützung ihrer Kandidatur durch Bürger*innen erbringen. Zuletzt wurde diese Zulassungshürde vom AGH lediglich etwas herabgesetzt. Durch die aktuelle Pandemielage und die verschiedenen Lockdown-Maßnahmen wird die Sammlung der notwendigen Unterstützungsunterschriften allerdings unmöglich gemacht.
Gegen diese Regelung des Landeswahlgesetzes hatte die Piratenpartei Berlin zusammen mit ÖDP, Freien Wählern und Tierschutzpartei geklagt. In einem breiten Parteienbündnis mit Mieterpartei, Bergpartei, Partei für Gesundheitsforschung, Volt, Demokratie in Bewegung und den Humanisten wurden auch weitere Klagen formuliert, u.a. von der Mieterpartei.
Das Landesverfassungsericht (AZ.: VerfGH 4/21) hat nun den klagenden Parteien Recht gegeben und ausgeführt, dass die Regelungen des Landeswahlgesetzes zu den Unterschriftenquoren die klagenden Parteien in ihren Rechten auf Chancengleichheit als Partei und auf Gleichheit der Wahl verletzen. Das Verfassungsgericht hält lediglich einen Anteil von maximal 20 – 30% der vor Pandemiezeiten geltenden Anzahl von Unterstützungsunterschriften für plausibel.
Franz-Josef Schmitt, politischer Geschäftsführer der Piratenpartei Berlin, kommentiert das Urteil:
Es muss im Moment versucht werden, jeden vermeidbaren Kontakt zwischen Menschen zu unterlassen. Kontakte zum Sammeln von Unterstützungsunterschriften auf Papier sind vermeidbar. Die Gefahr, die Infektionsdynamik von Covid-19 negativ zu beeinflussen, steht in keinem Verhältnis zur juristischen Notwendigkeit, als bloße Interessenbekundung der Bevölkerung eine unnötig hohe Zahl von Kontakten zu erzwingen. Das heutige Urteil des Landesverfassungsgerichtes zeigt, dass dieser Argumentation die Gerichte auch folgen.
Das Ziel dieser Überlegung, durch eine deutliche Reduktion der nötigen Unterschriften Menschenleben zu schützen, kann aber nur erreicht werden, wenn schnell eine hinreichende Entscheidung des Gesetzgebers zur Neuregelung des Berliner Wahlgesetzes getroffen wird. Auch das hat das Landesverfassungsgericht glücklicherweise erkannt. Besonders bedauerlich ist, dass sich das AGH am 11.2.2021 mit dem Problem der Reduktion von Unterstützungsunterschriften befasst hat und dem AGH zu diesem Zeitpunkt unsere genauen Berechnungen des zusätzlichen Infektionsrisikos bereits vorlagen. Trotzdem hat man sich dort aus politischen Gründen nur für eine 50%ige Absenkung entschieden. Zu wenig, wie das Landesverfassungsgericht jetzt festgestellt hat. Nun muss das AGH das Gesetzgebungsverfahren noch einmal von vorne beginnen, um kurzfristig ein der Berliner Verfassung gerecht werdendes Wahlgesetz zu ermöglichen. Wir hoffen, dass die nun unweigerliche Gefährdung von Menschenleben damit möglichst klein gehalten wird.
Für eine zweistellige Zahl an Parteien, mit Landeslisten und Direktkandidat*innen und einige Landtagswahlen und die Berliner Abgeordnetenhauswahl im Jahr 2021 sprechen wir über die Notwendigkeit Millionen vermeidbaren Kontakten und ebensovielen potentiellen Infektionen bis zum Juli 2021, der aktuellen Frist zur Einreichung der Unterstützungsunterschriften. Die Sinnhaftigkeit der Unterschriften ist dabei fragwürdig, da die erforderlichen Kontakte den harten Lockdown von Schulen, Restaurants, Veranstaltungen, Kunst und Kultur komplett ad absurdum führen und die erreichten Ergebnisse zu zerstören drohen. Am Ende besteht die Gefahr, dass alle Menschen in Deutschland für Monate länger in den Lockdown müssen, Existenzen zerstört werden und eine verlorene Schüler-Generation geschaffen wird, nur damit hunderttausende Zettel Papier völlig ohne Sinn unterschrieben werden.
Zum Glück haben wir eine Judikative, die einem solchen Unsinn Einhalt gebietet.
Das AGH hatte sich vor allem darauf berufen, dass es nicht möglich wäre, das Infektionsgeschehen zu prognostizieren. Dies konnten wir als Piraten glücklicherweise durch Verweis auf aktuelle wissenschaftliche Studien widerlegen und eine deutliche Rechnung präsentieren, die das Gericht überzeugt hat.
Nach derzeitigem Kenntnisstand kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich das Infektionsgeschehen kurzfristig verbessern wird. Die Bundesregierung (Gesundheitsminister Spahn) geht von einer Infektionslage bis in den Sommer hinein aus, derzeit steigen die Zahlen trotz monatelangem Lockdown durch die Verbreitung der Mutante B.1.1.7.
Der Verfassungsgerichtshof in Stuttgart war bereits im November 2020 der Auffassung, dass für die Landtagswahl in Baden- Württemberg eine Reduzierung der Hürde der Unterstützerunterschriften nötig ist. Auch aus Sicht der Landtagsfraktionen in Rheinland-Pfalz rechtfertigte die aktuelle Ausnahmesituation eine deutliche Absenkung der Zahl der erforderlichen Unterstützungsunterschriften für Wahlkreisvorschläge, Landeslisten sowie Bezirkslisten. Hierzu war die Änderung des Landeswahlgesetzes notwendig.
Diese Entscheidungen beruhen jedoch auf dem Infektionsgeschehen im November 2020. Seitdem hat sich die Situation gerade durch die Erkenntnis, dass ein Teil-Lockdown nicht funktioniert, stark verändert. Es hat sich erst im Dezember 2020 gezeigt, dass eine teilweise Reduktion von Kontakten nicht ausreicht, um die Ausbreitung des SARS-CoV-2 Virus zu stoppen. Es sind also stärkere Reduktionen notwendig, als in Baden-Württemberg und und Rheinland-Pfalz beschlossen wurden.
Berlin muss dies nun aufgrund einer kleinlichen Verhandlung um die Prozentsätze in einem zweiten Verfahren noch einmal neu aufrollen. Da hat sich das AGH keinen Gefallen getan.
Die Wahlen in Berlin rücken immer näher. Am 26. September 2021 werden die Abgeordnetenhauswahlen sowie die Wahl zu den Bezirksverordneten stattfinden. Es ist also Eile geboten! Wir Piraten werden Druck machen.
PS: Hier findet ihr das Unterstützungsunterschriftenformular für unsere Liste zur AGH-Wahl. Wenn ihr dieses ausdruckt, unterschreibt und an uns – auch mit Porto zahlt der Empfänger – an unsere Anschrift Pflugstraße 9a, 10115 sendet, wären wir euch dankbar.