Ein Gastbeitrag von Dr. Angelika Brinkmann, Politikwissenschaftlerin

Vor 200 Jahren, am 5. Mai 1818 wurde Karl Marx in Trier geboren. Er gilt als wichtiger Ökonom der modernen Wirtschaftsproduktion.

Marx wollte die Produktionsmittel vergesellschaften. Im digitalen Zeitalter fordern PIRATEN schon seit langem „Netze in Nutzerhand“ unter besonderer Berücksichtigung der Netzneutralität. Der Datenhandel des 21. Jahrhunderts ist vergleichbar mit der Entfremdung des Arbeiters von seinen Produkten im Industriezeitalter. Waren damals Arbeitsschutzgesetze wichtig, so sind es heute die des Datenschutzes um die Privatsphäre der Menschen zu schützen.

Politik kann die Bedingungen des Wachstums verändern, aber nicht selbst Wachstum herstellen. Diese Erkenntnis ist heute so richtig und wichtig wie vor 200 Jahren.

Marx wendet sich der ihn umgebenden Gesellschaftsordnung zu; daher muss er, um ihre Entwicklungsgesetze und den voraussichtlichen weiteren Verlauf zu erkennen, ihre ökonomische Grundlage, die kapitalistische Produktionsweise studieren. Das tut er im „Kapital“. Marx wendet das für ihn geschichtlich Erkannte auf die kapitalistische Gesellschaftsordnung an.

Marx unterscheidet die manufakturmäßige Arbeitsteilung (technologisch) von ihren sozialen Konsequenzen, der Entstehung des sogenannten „Teilarbeiters“ und der damit verbundenen „Entfremdung“ des Menschen von den Produkten seiner Arbeit (vergl. dazu das berühmte 12. Kapitel im 1. Bd des „Kapital“, Teilung der Arbeit und Manufaktur)

Das Bild des Klassenkampfs ist hier insofern vereinfacht, als sich im wesentlichen nur noch zwei Klassen gegenüberstehen, die Kapitalisten, die im Besitz der Produktionsmittel sind, und das Proletariat, das nur seine Arbeitskraft besitzt und von Kapitalisten ausgebeutet wird. Die Ausbeutung geschieht hier mittels des sogenannten Mehrwerts. Der Arbeiter schafft nämlich durch seine Arbeit mehr an Wert, als er durch den Lohn ausgehändigt bekommt.

Eigentum, Wettbewerb und Marktordnung
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Begriff des Eigentums und die private Verfügung über Eigentum. Sie sind Grundelemente der Gesellschaftsstruktur und – sofern es sich um Produktionseigentum handelt – der Wirtschaftsordnung.

In einer auf Tausch basierenden Gesellschaft ist das Eigentum und eine darauf gegründete Warenproduktion die wesentliche Grundlage mit anderen Menschen in Beziehung und Austausch zu treten. Das gilt auch für alle Formen des Grundeigentums, da sich hier Größe und Verknüpfungsbefugnisse auf die Gesellschaftsstruktur unmittelbar auswirken bzw. diese konstitutieren. Dies ist mit ein entscheidender Grund, warum Marx und Engels dem Studium der Geschichte des Grundeigentums eine so überragende Bedeutung zuerkennen.

Indem der Kapitalismus die Arbeitermassen in gigantischen Großunternehmen zusammenballt, verleiht er dem Produktionsprozess einen gesellschaftlichen Charakter. Damit untergräbt er selbst seine – auf Privateigentum an den Produktionsmitteln beruhende – Grundlage. Der gesellschaftliche Charakter des Produktionsprozesses erfordert gesellschaftliches Eigentum an den Produktionsmitteln.

Die Übereinstimmung zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen muss also hergestellt werden durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, durch die „Expropriation der Expropriateure“, die Enteignung der Enteigner, welche vorher die Produktionsmittel an sich gebracht hatten, zugunsten der Gesellschaft.

Automatisierung und Wachstum
Weder die Finanzkrise von 2008 noch die Krise der Automatisierung, d.h. die starke Steigerung der Produktivität einhergehend mit deutlichen Lohnsteigerungen, sind überwunden. Viele dieser Krisenfolgen wurden und werden durch den stark gewachsenen Finanzsektor überdeckt. Der Ersatz bzw. der Neukauf von Prokduten nach dem Ende des 2. Weltkriegs ist seit den frühen 70er Jahren rückläufig, zu sehen an dem Wechsel von Krisen und Zwischenhochs, wie z.B. nach dem Ende der Systemkonfrontation 1989/90.

Es gibt bisher keinen technologischen Fortschritt der zu einem neuen langanhaltenden Wachstum geführt hat. Die neuen Technologien, die einen solchen Wachstumsschub auslösen könnten, gibt es noch nicht. Die Digitaltisierung kann diesen Wachstumsschub nur begrenzt liefern; obwohl die Informationstechnologien, Smartphones, Firmen wie Google und allgemein das Internet technologisch faszinierend sind, die ökonomischen Folgen sind begrenzt, sieht man von den teils hochspekulativen Börsenwerten von Twitter, Facebook & Co. einmal ab. Digitaltisierung ermöglicht den Zugriff auf viele Informationen, sie generiert aber nicht automatisch ein neues Produkt. Eine zumindest in Teilen entstandene Neuerung sind Filme, die vom Streamingdienst Netflix produziert werden.

Die riesigen Gewinne von Facebook, Google & Co sind sekundär, denn sie entstehen über Werbung: VW schaltet eine Anzeige bei Google & Co. Um es mit Marx Begriffen zu sagen: Es wird kein Mehrwert produziert sondern umverteilt. Da alle prokuktiven Firmen ein großes Interesse daran haben, ihre Produkte zu vermarkten, geschieht dies in großem Ausmaß mit gigantischen Werbebudgets für Facebook, Google & Co.

Es gab drei wesentliche industrielle Revolutionen:

Mechanisierung mit Wasser- und Dampfkraft
Massenfertigung durch Fließband und elektrische Energie
Automaisierung der Produktion durch Elektronik und IT

Durch die Industrie 4.0 wird die Produktion effektiver, die Produktionsprozesse werden weiter optimiert, aber es entsteht kein neues Produkt.

Digitalisierung und Mehrwert
Kapital braucht neue Betätigunsfelder bzw. Investitionsmöglichkeiten. Industrie 4.0 ist ein Programm der Bundesregierung, mit dem die Arbeit weiter flexibilisiert und an die Bedürfnisse der Unternehmen angepasst werden soll.

Mittlerweile stellt sich aber immer mehr heraus, was eigentlich fehlt ist ein Programm: Gesellschaft 4.0. Soll heißen, wie kann das Spannungsfeld zwischen optimierter Produktion einerseits und den Erfordernissen personennaher Dienstleistungen wie Alten- und Krankenpflege, Kinderbetreuung, Handwerk, um nur einige zu nennen, gestaltet werden. Das heißt all jene Berufe, die nicht outgesourct/ausgelagert werden können, aber sich aufgrund unterschiedlicher Anforderungen einem übermäßigen Optimierungsprozess entziehen.

Marx hat die Bedeutung der ökonomischen Grundlage des gesellschaftlichen Lebens, die Tatsache des Klassenkampfes in der Gesichte und den Einfluss dieser Faktoren auf die kulturelle und geistige Entwicklung zum ersten Mal in voller Tragweite erkannt.

Er erkannte auch, dass Kapital immer ein neues Investitionsfeld benötigt. Wozu das führen kann, wenn es keine neuen Produkte für das Kapital gibt, ließ sich in der Finanzkrise 2008/2009 beobachten. Das Kapital investierte in Finanzprodukte, aber auch in Wohnungen oder die Gesundheit. Die beiden letzen Dinge gehören aber zur Daseinsvorsorge und sollten nicht kapitalistischen Effizienzkriterien unterworfen sein.


Zukunft der Arbeit/Arbeit der Zukunft

Unter den durch die veränderten politischen Konstellationen und den sich in den entwickelten kapitalistischen Gesellschaften angleichenden ökonomischen Bedingungen soll sich jeder Bürger als Unternehmer, als Eigentümer seiner Ware Arbeitskraft begreifen, mithin für sein Schicksal selbst verantwortlich sein, wie z.B. bei der Ich-AG der Agenda 2010. Gefordert werden von dem Einzelnen Mobilität, Kreativität, Flexibilität, soziale Kompetenz als Bedingung für Anpassungsfähigkeit sowie die Bereitschaft zur Weiterbildung unter dem Stichwort ‚Lebenslanges Lernen‘. Dem vagabundierenden Kapital steht der Wanderarbeiter der Neuzeit gegenüber. Es entsteht kein neuer Sicherungsmechanismus aus sich heraus.

Im digitalen Zeitalter sind soziale Netzwerke entstanden. Sozial bedeutet aber nicht mehr im ursprünglichen Sinne materielle Sicherheit sondern informationelle Zusammengehörigkeit. Die Zivilgesellschaft trifft sich im Netz, kommuniziert durch Kurznachrichtendienste wie Twitter. Hier schließt sich ein Kreis: Die Netzgesellschaft ähnelt der Agrargesellschaft; wie in der Agrargesellschaft sind Individuen wieder mehr für sich selbst verantwortlich, aber auf globalem Niveau.

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