Der Glaube, Fortschritt sei mit Verwissenschaftlichung und dass Demokratie wie eine Technokratie funktioniere, fand mit dem ersten Ölpreisschock1973 [1] und der Erkenntnis von den „Grenzen des Wachstums“ ein plötzliches Ende.
Der Jom Kippur Krieg:
Am 6. Oktober 1973, dem jüdischen Versöhnungstag, hatten ägyptische Truppen die israelische Verteidigungslinie am Suez-Kanal überrannt; syrische Einheiten hatten gleichzeitig die Golanhöhen gestürmt. Das war bereits das vierte Mal, dass Israel mit seinen Nachbarn im Krieg stand.[2] Am 25. 11. 1973 gab es zum ersten Mal ein Sonntagsfahrverbot auf bundesdeutschen Autobahnen. Rohöl war bislang das Grundnahrungsmittel der Industrienation Bundesrepublik Deutschland, wobei 75% aus arabischen Ländern stammte; diese hatten nun den Ölhahn zugedreht.
Die Herrscher der Golfstaaten entdeckten das „schwarze Gold“ als Waffe, drosselten zunächst die Förderung drastisch, wodurch sich das Öl verteuerte und erließen dann am 19. Oktober ein Embargo gegen Staaten mit israelfreundlicher Haltung.
Zunächst waren nur die U.S.A. betroffen, die Israel direkt militärisch unterstützten; bald waren aber alle Staaten des Westens betroffen, auch die Bundesrepublik Deutschland. Der Ölboykott traf die westlichen Industrieländer aus heiterem Himmel und zunächst sehr hart. Die damalige sozialliberale Bundesregierung steuerte gegen u.a. mit einem „Energiesicherungsgesetz“, welches am 9. November! einstimmig den Bundestag passierte.
Das Sonntagsfahrverbot:
Am 25. 11. 1973 gab es zum ersten Mal ein Sonntagsfahrverbot auf bundesdeutschen Autobahnen. Rohöl war bislang das Grundnahrungsmittel, wobei 75% aus arabischen Ländern stammte; diese hatten nun den Ölhahn zugedreht.
Am 26. November wurden Geschwindigkeitsbegrenzungen „Tempo 100“ auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen und das Fahrverbot an vier Sonntagen im November und Dezember 1973 erlassen; von 3 Uhr morgens an ruhte der Verkehr, nur mit Ausnahmeerlaubnis für Notfälle durften Bürger ihren PKW benutzen.
… und andere Auswirkungen
Der Ernst der Lage war unübersehbar: Mitten in der Weihnachtszeit verordneten Stadtverwaltungen Sparbeleuchtung anstelle der Festbeleuchtung. Der Deutsche Fußballbund verfügte, dass bis Ende Januar 1974 keine Flutlichtspiele mehr ausgetragen werden durften. Alle Fußballspiele mussten bei Tage stattfinden und begannen deshalb um 14.30 Uhr. Ähnlich drastische Maßnahmen gab es erst wieder während der Corona Pandemie mit den Geisterspielen.
Eine Folge dieses Ölpreisschocks und den damit verbundenen krisenhaften Erscheinungen war der Ausbau der Kernenergie, um die Abhängigkeit von arabischem Öl zu verringern.
Grenzen des Wachstums und andere Erkenntnisse
Der Ölpreisschock veränderte allgemein das gesellschaftliche und politische Klima.
Der „Club of Rome“ [3] hatte 1973 seinen ersten Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ vorgelegt. Im September 1973 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Diese Grenzen wurden einer so mobilen und autofreundlichen Gesellschaft wie der Bundesrepublik jetzt sehr deutlich aufgezeigt. Die explodierenden Preise trafen die Bürger mit ihrem Individualverkehr, aber auch die Autohersteller.
Während in den Jahren zuvor Konjunkturdämpfungsprogramme aufgelegt worden waren – z.B. Mehrabgaben auf Lohn-, Einkommens-, und Körperschaftssteuer – hatten auf einmal Maßnahmen zur Belebung der Konjunktur große Priorität.
Die wirtschaftliche Krise führte auch zu großer Skepsis bezüglicher weiterer Reformen. Es gab nicht nur die Grenzen des Wachstums sondern auch der Verteilungsgerechtigkeit. In der Sozialpolitik fand ein Umdenken statt; die Rentenformel wurde erstmals 1977 geändert und für die Erholung legte man jetzt statt des Brutto- das Nettoeinkommen zu Grunde. Reduziert wurden auch die Leistungen der Arbeitslosen- und Krankenversicherung; so kosteten Medikamente von nun an erstmals zusätzliche Gebühren.
Dennoch stiegen die Lohnnebenkosten und gehörten im internationalen Vergleich zu den höchsten.
Infolge der Ölpreiskrise geriet die bereits angeschlagene Weltwirtschaft in die tiefste Rezession der Nachkriegszeit. Am 15. November 1975 trafen sich die Staats-und Regierungschefs der sechs wichtigsten Industrieländer zum Krisentreffen im französischen Rambouillet: Der Weltwirtschaftsgipfel war geboren, sozusagen 15 Jahre nach der OPEC im Jahr 1960.
Die zweite Ölkrise:
Angesichts der Ölkrise, ausgelöst durch die islamische Revolution 1979 im Iran, von Rezession und Arbeitslosigkeit, standen nicht mehr gesellschaftliche Utopien im Vordergrund sondern Pragmatismus und Krisenmanagement. Statt Ausbau des Sozialstaats gab es Einschränkungen, eine Austeritätsepoche brach an, geprägt durch „Thatcherismus“, benannt nach der konservativen englischen Premierministerin und „Reagonomics“ benannt nach dem republikanischen US-Präsidenten Ronald Reagan: das neoliberale Zeitalter hatte begonnen.
Die dritte Ölkrise:
Die dritte Ölkrise begann, zunächst nicht so erkennbar, am 24. Februar 2022 mit dem völkerrechtswidrigem Überfall Russlands auf die Ukraine. Russland ist seit 2016 Mitglied bei Opec+. Gleich nach dem Überfall, den der deutsche Bundeskanzler als „Zeitenwende“ bezeichnete, wurden westliche Sanktionen beschlossen, die die wirtschaftlichen Möglichkeiten Russlands zur Führung des Krieges beeinträchtigen sollten. Im Juli 2022 fand der G-20-Gipfel auf Bali statt; dort war der ukrainische Präsident Selenskyi per Video zugeschaltet und präsentierte einen 10-Punkte-Friedensplan.
Fast 50 Jahre nach dem ersten Ölstopp, beschloss Saudi Arabien im Oktober 2022 eine Drosselung der Erdölförderung. Diese Reaktion konnte als Signal zur Unterstützung Russlands gewertet werden, welches durch eigene Ölexporte die staatliche Kriegskasse auffüllen muss. Es wurde aber auch vermutet, die Aktion solle die US Demokraten bei den bevorstehenden Midterm Wahlen schädigen, was allerdings nicht geschah.
Als Nachfolge des G-20-Gipfels von Bali fand im August 2023 eine Konferenz zum Ukraine Krieg unter der Vermittlung Saudi Arabiens in der saudischen Hafenstadt Dschidda statt – unter Beteiligung von Politikern aus 40 Ländern, aber ohne Russland.
Saudi Arabien vermeidet, wie viele andere Teilnehmerstaaten der Konferenz, eine eindeutige Parteinahme im Ukraine-Krieg. Das Land unterstützt die Ukraine mit Hilfsgütern, beteiligt sich aber nicht an den westlichen Sanktionen.
Die Konferenz war eher ein Signal an die U.S.A., dass man durchaus auch ohne deren Wirtschaft als Vermittler auftreten kann und gleichzeitig der Versuch, die Ächtung nach der Ermordung des Regimekritikers Jamal Khaschoggi 2018 wieder an Reputation zu gewinnen.
Für Saudi-Arabien stand und steht vermutlich die Höhe des Ölpreises im Vordergrund, auch um die ehrgeizigen Umbauprojekte zu finanzieren, aber auch dem Bestreben der Industrieländer, sich unabhängig vom Öl zu machen, etwas entgegenzusetzen.
Eine weitere Folge des Überfalls Russlands auf die Ukraine: Als Exportnation muss Deutschland neue Beziehungen zu Rohstofflieferanten und Handelspartnern knüpfen, was nicht über Nacht geschehen kann. Die Energieversorgung muss in Deutschland grundlegend neu organisiert werden, ebenfalls ein langwieriger und schwieriger Prozess.
Fazit
Ebenso wie der Krieg in der Ukraine ist auch das Tauziehen um den Ölpreis eine geopolitische Auseinandersetzung. Den Schock extrem gestiegener Energiepreise infolge des russischen Angriffskrieges hat die deutsche Industrie dank temporär staatlicher Hilfe einigermaßen gut überstanden; bezahlbare Energie und Umbau der Wirtschaft wie auch bei Privathaushalten (sog.Heizungsgesetz) sind deutlicher zutage getreten als vor 50 Jahren. Seitens der Bundesregierung wurden diverse Unterstützungsmaßnahmen ergriffen, wie eine Energiepauschale und ein verminderter Mehrwertsteuersatz auf Energie. Ganz allgemein läßt sich aber sagen, dass Sozialkürzungen nicht die Folge von gestiegenen Rüstungskosten sind; ebenso wie bei der ersten Ölkrise sind sie Folge von gestiegenen Energiekosten.
Damals wie heute ist aber klar, dass man die Krise nur mit nationalen Mitteln kaum beenden konnte. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik ist immer stärker international verflochten. Die Globalisierung ist längst im Gange und veränderte die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen grundlegend, denn das Ozonloch oder Atomunfälle kennen keine nationalen Grenzen.
Es war leichter „Atomkraft? Nein danke“ zu fordern, als zu sagen, keine Waffenlieferungen an die Ukraine. Die Atomkraftwerke stehen in der Bundesrepublik Deutschland, die Ukraine ist ein Staat in Europa, da gilt es andere Kriterien zu bedenken, wie die Tatsache, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Überfall Russlands handelt, der nicht kommentar- und aktions/widerspruchslos hingenommen werden kann.
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[1] Die Ölpreiskrise leitete eine Epochenwende ein. Die westlichen Industriegesellschaften glitten in die schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit ab. Die Grenzen des Wachstums schienen erreicht.
[2] Die arabischen Staaten haben seit der Gründung Israels 1948 mehrere Kriege gegen den jüdischen Staat geführt. Ägypten war 1979 das erste arabische Land, das Frieden mit Israel schloss. 1994 folgten Jordanien. Nochmals Jahre später, 2020, gelang es den U.S.A. als Schutzmacht Israels, dass sowohl die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Bahrein als auch Marokko Israel mit dem sogenannten „Abraham Vertrag“ anerkennen. Saudi Arabien als Hüterin der islamischen heiligen Stätten von Mekka und Medina, ist sehr zögerlich.
[3] ein 1968 gegründeter Zusammenschluss von Wissenschaftlern, Ökonomen und Politikern aus 53 Ländern, der sich dem Ziel verschrieb, die inneren Zusammenhänge von Menschehitsproblemen zu erforschen.
Der Bericht bedeutete gleichsam die Entstehung eines ökologischen Bewußtseins. Die konsumorientierte Industriegesellschaft , die mit nicht sich regenerierenden und nicht zugänglichen mineralischen Rohstoffen ausbeutete, saß auf der Anklagebank.