Uns steht ein Wahlkampf bevor. Die Arbeit an unserem Wahlprogramm beginnt gerade.

Da man am besten aus den Fehlern anderer lernen kann, stelle ich hier eine klare und kluge Analyse des NRW-Wahlkampfs von Christopher ein. Ich weiß, der Text ist lang, aber er lohnt sich. Alles, was in die Zukunft weist, habe ich unterstrichen.

Christopher hat das Wort:

Meiner Meinung nach hat das schlechte Wahlergebnis in NRW sehr viele Ursachen. Ich versuche hier mal einige aufzuzählen, ohne jetzt gewichten zu können, was mehr Einfluss hatte und was weniger.
Ausgangslage:
Im Europa – und Bundestagswahlkampf profitierten wir von einer Bundesregierung, mit der erstens sehr viele Leute unzufrieden waren und die zweitens Gesetze auf den Weg gebracht hatte (Vorratsdatenspeicherung) oder auf den Weg bringen wollte (Internetzensur), die uns thematisch in die Hände spielten. Der Achtungserfolg bei der Europawahl rechtfertigte dann medial die Aufmerksamkeit, die uns während des Bundestagswahlkampfes zu Teil wurde. Aufgrund der großen Koalition war ein langweiliger und harmloser Wahlkampf zu erwarten, hier boten wir als neue, aufstrebende Partei Abwechslung, besonders wenn wir eine medienwirksame Aktion durchführten. Schon im Bundestagswahlkampf fielen wir nicht oft durch programmatische Akzente auf; wir wurden auf „Ein-Themen“ und „Intenet-Partei“ reduziert. In der Öffentlichkeit konnte somit eine „David -gegen – Goliath- Geschichte“ erzählt werden, mit einer ungestümen und wilden Gruppe von Abenteurern, die sich aufmacht, den Reichstag zu entern. Somit erfüllten wir eine Rolle als Provokateur in der ansonsten eintönigen Medienberichterstattung über den Bundestagswahlkampf.
Wir erschienen als Möglichkeit, Protest und Unmut gegen die aktuelle Politik auszudrücken.
Veränderung:
Diese Ausgangslage war bei der NRW-Wahl nicht mehr gegeben. Wir haben keinen Neuigkeitswert mehr. Wir haben mittlerweile einen Bekanntheitsgrad erreicht, dass wir nicht mehr aus uns heraus eine Nachricht erzeugen können. Sie muss von Inhalten getragen werden und in einem aktuellen Kontext erzählt werden können. Somit hatten wir es sehr viel schwerer, mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen. Denn auch wenn wir im Internet CSU-mäßige Ergebnisse hinlegen –  in den klassischen Medien sind wir im politischen Diskurs wenig etabliert und kaum vertreten. Leider informiert sich aber noch immer eine große Zahl von Menschen grade über das Fernsehen. Wir waren grade in der überregionalen Presse nicht in der Lage, Themen im Wahlkampf zu platzieren. Das hat sicher viel damit zu tun, wie z.B. unsere Bundespresse arbeitet. Kommunikation mit den Medien über Pressemitteilungen führt dazu, dass die meisten Journalisten einen Spamfilter für unsere Mitteilungen einrichten.
Gleichzeitig sind auf bundespolitischer Ebene die Rahmenbedingungen andere geworden. Frau von der Leyen arbeitet im Arbeitsministerium, stattdessen haben wir eine Familienministerin Schröder, die sich durch Twitter- und Facebooknutzung hervortut und somit den Nimbus erzeugt, sie hätte vom Internet vielleicht eine Ahnung, zumindest entsteht der Eindruck, sie beschäftige sich damit. Der Unsympath Wolfgang Schäuble ist jetzt Finanzminister, an seine Stelle ist der ehemalige Kanzleramtschef Thomas de Maizière gerückt, der so wenig Angriffsfläche bietet und so unscheinbar agiert, dass auch hier keine negative Identifikationsfigur aufgebaut werden konnte.
Außerdem lernen die anderen Parteien schnell. Den Fehler, den die CDU beging, indem sie die Grünen ignorierte und somit eine vierte Partei in einem Drei-Parteiensystem etablierte, wird sie nicht noch mal begehen. Mit der Internet-Enquete bemühen sich nun alle Parteien, ihr netzpolitisches Profil zu schärfen. Gleichzeitig verhängte die amtierende Regierung aus CDU und FDP ein Moratorium für Sicherheitsgesetze, so dass uns auch auf dieser Ebene keine neue Munition mehr geliefert wird.
Das war also ein Teil der politischen und medialen Ausgangssituation bei der NRW-Wahl, die für uns alles andere als einfach war.

Parteiinterne Faktoren:
Nun kamen noch parteiinterne Faktoren hinzu, die den Wahlkampf nicht einfacher machten. Der Landesverband NRW befand sich seit der Bundestagswahl im Dauerwahlkampf, was eine Konsolidierung und Organisation erschwerte. Das in die Satzung gegossene, sehr rigide Crew-System hat sicher nicht dazu beigetragen, den Landesverband NRW gut auf den Wahlkampf vorzubereiten. Grade in Flächenländern sind regionale Untergliederungen meiner Meinung nach unerlässlich. Somit gab es viele interne Spannungen und viel Streit und vielleicht auch keine klare Absteckung, wer genau für was verantwortlich ist. Zwar gab es eine Projektgruppe Wahlkampf, aber – so zumindest mein Eindruck von außen – war sie mit der Organisation des Wahlkampfes überfordert. Dies hing meiner Meinung nach mit den überambitionierten Zielen, vor allem was das Fundraising betraf, zusammen. Gleichzeitig blieb die Unterstützung durch andere Landesverbände, so mein weiterer Eindruck, nahezu aus. Hier müssen wir uns alle uns unsere Nasen fassen: In Zukunft muss gelten, dass wenn ein Landtags- oder Kommunalwahlkampf stattfindet, nicht ein Bundesland oder eine Stadt im Wahlkampf ist, sondern die gesamte Piratenpartei mit allen Mitgliedern. Hier müssen wir in Zukunft ein System entwickeln, dass jeder Pirat, egal aus welchem Bundesland, der im Straßenwahlkampf helfen möchte, im Straßenwahlkampf helfen kann. Hier kann die Bundesgeschäftsstelle als überregionale Wahlkampfzentrale meiner Meinung nach einen hohen Nutzen und ein großes Potential entfalten.
Neben den organisatorischen Schwächen mangelte es auch an Geld. Dies ist aber ein grundsätzliches Problem. Wir müssen also in Zukunft darauf achten, dass wir vor allem Kleinspender motiviert bekommen, monatlich fünf oder zehn Euro an uns zu überweisen. Wie ich im Klabautercast mit Martin Haase sagte, wenn jeder, der uns bei der Bundestagswahl gewählt hat, zehn Euro im Monat überweisen würde, dann wären das acht Millionen Euro, mit denen wir tatsächlich arbeiten könnten. Es müssen zwar nicht Millionen sein, aber es ist ganz klar, dass wir in Zukunft das Fundraising forcieren müssen, da uns ansonsten die materielle Grundlage fehlt, überhaupt Wahlkampf führen zu können.
Mattias Schrades Idee, mit Hilfe von Schmuckaktien in Kürze Millionenbeträge für den Wahlkampf zu generieren, war in diesem Zusammenhang meiner Meinung nach äußerst kontraproduktiv. Zum einen, weil sie die Zeit kostete, uns mit tatsächlich seriösen Konzepten zum Sammeln von Spenden auseinander zu setzen, zum anderen, weil sie grade in einer Zeit, in der Jürgen Rüttgers durch Käuflichkeit negativ auffiel, medial den Eindruck erweckte, die Piratenpartei würde sich in eine AG verwandeln, in der derjenige das politische Geschehen bestimmt, der am meisten Aktien besitzt. Die Berichte auf Spiegel Online und anderen überregionalen Medien haben uns hier definitiv geschadet. Hier würde ich mir mehr Mut von uns allen wünschen, aktiv gegen solche hanebüchenen Konzepte vorzugehen. Personen, die versprechen, in kürzester Zeit Millionenbeträge aus dem Nichts zu generieren – das sollte doch nach mehreren Finanzmarktblasen klar sein – sind hochgradig unseriös, auch wenn sie Piraten sind.

Gleichzeitig kostete die Aktion „Ein Stück Freiheit“, in der alte Wahlkampfplakate mit Wasserfarben und Wachsmalkreide bemalt, zu Kunst erklärt und mit Gewinn verkauft werden sollten, intern sehr viel Zeit. Ich habe das Projekt nicht weiter verfolgt, mich würde aber interessieren, wie viel Geld hierdurch eingenommen worden ist? Dazu hatte „Ein Stück Freiheit“ mit seiner dilettantischen Auffassung von Kunst das Potential, Kunstschaffende und Kreative vollkommen zu vergraulen, da wir ihre Arbeit wie ein zufälliges Produkt erscheinen ließen, dessen alleiniger Zweck es ist, Geld zu generieren.

Grundsätzlich halte ich Aktionen, deren alleiniger Zweck die Generierung von Geld ist, komplett für verfehlt. Es ist meiner Meinung nach sinnvoller,  Aktionen zu starten, die aus sich heraus mediale Aufmerksamkeit erzeugen, statt Aktionen zu starten, um Geld zu sammeln, damit Werbefilme zu produzieren, die für viel Geld im Fernsehen gezeigt werden, um dadurch mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Wählbarkeit ist kein Selbstzweck oder Wert an sich.

Programmatisch war wahrscheinlich das Problem, dass wir in NRW zu viel wollten. Ein Vollprogramm ist ein ambitioniertes Ziel, aber wie wollen wir ernsthaft vermitteln, dass wir in den Punkten Wirtschaft, Umwelt, Soziales, usw. mehr zu bieten haben als die etablierten Parteien, die das seit Ewigkeiten machen? Wir können und müssen unser Programm langfristig erweitern, grade die Themen Wirtschaft und Soziales interessieren die meisten Menschen brennend. Allerdings sollten wir das Programm in der Geschwindigkeit ausarbeiten, die wir dafür brauchen, und wir sollten uns nicht mit halbherzigen Kompromissen zufrieden geben, aus einem Gefühl heraus, dass wir wählbarer werden müssen.
Wir müssen von den anderen Parteien unterscheidbar bleiben und im Wahlkampf herausstellen, warum die Piratenpartei notwendig ist.
Nicht als Selbstzweck, sondern als sinnvolle Ergänzung im Politikbetrieb. Unsere Themen wie Transparenz in Staat und Verwaltung, Bürgerrechte und mehr Demokratie bieten meiner Meinung nach eine ausreichende Grundlage, um dies zu bewerkstelligen. Wir müssen nur immer wieder herausstellen, wo diese Themen uns im Alltag begegnen.

Der Jugendmedienstaatsvertrag, ELENA, ACTA, Urheber- und Leistungsschutzrecht sind hier meiner Meinung nach gute Reibungsflächen, aber auch Datenschutz in sozialen Netzen, Post-Privacy und der Umgang hiermit, bieten sich an. Nur weil die Bestrebungen, das Internet zu zensieren, auf EU-Ebene verschoben worden sind, bedeutet das nicht, dass man im Wahlkampf nicht auf solche Entwicklungen hinweisen kann.

Es gab meiner Meinung nach also drei Faktoren, die unser Ergebnis bei der NRW-Wahl maßgeblich beeinflussten:

Mediale Präsenz: Eine veränderte Ausgangslage erschwerte es uns, in den etablierten Medien Fuß zu fassen, es gelang uns nicht, unsere Themen zu platzieren.

Interne Prozesse: Sowohl der Landesverband NRW als auch die gesamte Bundespartei waren schlecht organisiert.

Politisch-programmatische Unklarheiten: Wir hatten im NRW-Wahlkampf (ich weiß, das Bildungsprogramm war gut) keine klare, programmatische Ausrichtung, die Wahlberechtigten tatsächlich vermittelte, warum wir unbedingt in den Landtag von NRW einziehen müssen.

3 Kommentare

  1. 1

    Ein-Themen-Partei oder Patchwork-Programm?

    Der Einfall, wegen des enttäuschenden Wahlergebnisses in NRW die Wähler schleunigst mit einem allumfassenden Programm zu erfreuen, wo für jeden was drin ist, ist für die Fortschritte der Piratenpartei so nützlich wie eine Bananenschale.

    Allerdings sind die Piraten eine Ein-Themen-Partei. Wir haben nur ein Thema, aber was für eins! Unser – und bislang nur unser – Thema ist: die digitale Revolution. Kein Bereich des Lebens, das nicht mittelbar oder unmittelbar davon betroffen wäre!

    Aber eben: mittel- oder unmittelbar. Was heute schon unmittelbar das Leben aller betrifft, ist längst ganz selbstverständlich in unser „Programm“ eingegangen: Internetzensur, Datensicherheit, Überwachungsstaat. Das sind die Themen, über die uns jeder Wähler, wenn er will, identifizieren kann.

    Aber nicht mit allen unmittelbar mit der digitalen Revolution verbundenen Themen ist das so einfach. Zum Beispiel nicht mit dem Urherberrecht (worüber uns vielleicht noch mehr Leute identifizieren). Wir sagen: Vom Urherberrecht profitieren nur die Vermarktungskonzerne und nicht die Kreativen. Diese nehmen neun Zehntel vom Preis, der Autor kriegt, wenn er Glück hat, höchstens ein Zehntel. Davon kann doch keiner leben! Antwort des arglosen Bürgers: Und das Bisschen wollt ihr ihm auch noch nehmen! – Ja, und da hat der Bürger natürlich Recht…

    Die Antwort läge bei einem Thema, das hinter vorgehaltener Hand fast überall in der Piratenpartei geraunt und nie wirklich angepackt wird, weil es auf den ersten Blick gar nichts und auch auf den zweiten Blick nur sehr mittelbar mit der Digitalen Revolution zu tun hat; tatsächlich aber wie ein Brennglas alle Herausforderungen der ‘medialen Gesellschaft’ in einem Punkt zusammenfasst: das Bedarfsunanbhängige Grundeinkommen aka BGE.

    Statt nach lauter Krümeln zu suchen, aus denen wir irgendwie „unser Program“ zusamenpappen können (sofern und so lange sich über jeden Krümel Einvernehmen erzielen lässt), müssen wir das eigentliche Problem der Digitalen Revolution beim Namen nennen und – schlimmstenfalls noch unreif und unvergoren, wir sind ja noch jung – eine grundätzliche Antwort geben: Was wird aus der Arbeit? Arbeit für alle wird es nie wieder geben, Sinn des Lebens kann sie nicht bleiben – es sei denn, sie hört auf, als Erwerbsarbeit definiert zu sein.

    Und so weiter…: Schon allein durch diesen Zugang zur gesellschaftspoltischen Fragestellung unterscheiden wir uns hinreichend und grundsätzlich von allen andern politischen Parteien, Gruppierungen und Sekten im Land. Denen gegenüber sind wir neu (und ein paar Eierschalen hinter den Ohren wird man wohl in Kauf nehmen).

    Mir scheint, in NRW haben sich die Piraten stattdessen eher als die x-te Splitterpartei neben so und so vielen anderen präsentiert. Und dafür sind anderthalb Prozent gar nicht mal schlecht.

  2. 2

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